Der zweite Weltkrieg im Coaching

Er ist schon über 60 Jahre her. Alle Coachees, die zu mir kommen, haben den zweiten Weltkrieg nicht erlebt, ich auch nicht. Zu mir kommen Menschen, die alle etwa zwischen 1960 und 1990 geboren sind. Kriegsenkel und zum Teil schon Urenkel. Dennoch spielt der zweite Weltkrieg auch heute noch eine Rolle, für manche eine zentrale. 

Ich selbst - geboren 1967 – bin ein Kriegsenkel. Bereits in meinen Ausbildungscoachings kamen da spannende Erkenntnisse zutage. Meine Vorfahren vor dem zweiten Weltkrieg waren überwiegend (damals meist nur die Männer) Unternehmertypen. In der Generation meiner Eltern häufen sich die Beamten, auch meine Eltern reihen sich ein. Sie leben maximale Sicherheit und dieses Bedürfnis habe ich von ihnen übernommen. Diese elterliche Erwartungshaltung und die damit unbewusst übernommenen Werte sind nicht sonderlich hilfreich, wenn man sich in das Abenteuer Selbständigkeit stürzen will. Ohne die Erkenntnis, dass die Werte, die meine Eltern mir mitgegeben haben, nicht jederzeit wahr sind, sondern aus einer extrem unsicheren Kindheit im 2. Weltkrieg entstanden sind, hätte ich den Sprung ins kalte Wasser vielleicht nicht gewagt. Und die Freude an eigenen Entscheidungen und den Möglichkeiten selbst etwas aufzubauen, nie erlebt.

 

In meinen Coachings taucht der 2. Weltkrieg immer mal wieder auf. Es geht dann meist um die fehlende Anerkennung durch die eigenen Eltern, um eine unerklärliche Traurigkeit oder um den Wunsch nach Kindern, der aber diffus und angstbesetzt bleibt und meist nicht realisiert wird. Das soll alles etwas mit den Traumata des zweiten Weltkriegs zu tun haben? Nicht immer und nicht alles – aber dennoch erstaunlich oft. Jenseits davon, dass Deutschland im 2. Weltkrieg sehr, sehr vielen anderen Menschen unfassbares Leid angetan hat, sind in dieser Zeit Kinder auf der Strecke geblieben. Unsere Eltern und manchmal schon Großeltern. Und es gab in der Nachkriegszeit kein Raum für Aufarbeitung, für Therapie oder auch nur für einen sicheren elterlichen Hafen, in dem die kleine Kinderseele sich gut erholen konnte. Kein Wunder, dass beispielsweise bei meinen Eltern das Thema Sicherheit so eine zentrale Rolle spielt. Andere  Kriegsenkel sehnen sich nach Anerkennung. Schwer diese zu geben, wenn man als Kind diese genommen bekommen hat.

 

Zwei Bücher von Sabine Bode kann ich zum Thema empfehlen. Die vergessene Generation betrachtet dieses Thema aus dem Blickwinkel der Kriegskinder. Beim zweiten Buch Kriegsenkel erklärt der Titel bereits, wer hier zu Wort kommt. Beide Bücher habe ich für mich, aber auch im Coaching, als eine Bereicherung erfahren und als sehr tröstlich erlebt. Sie helfen, um mit unseren Eltern sanfter umzugehen und sie manchmal so zu lassen, wie sie nunmal sind. Denn sie waren Opfer. Um aber auch uns und unseren Lebensweg noch mit einer Opferbrille zu sehen. Die nicht alle unsere Marotten entschuldigen soll. Aber vielleicht erklären. Und vielleicht auch uns die Erlaubnis gibt, mit uns sanfter zu sein. 

Besonders bei diesem Thema würde ich mich über eigene Erfahrungen und Kommentare sehr freuen. 

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Kommentare: 1
  • #1

    Stefanie (Freitag, 27 September 2013 12:08)

    Liebe Gisela,
    danke für diesen Artikel!
    Ich bin vor einigen Wochen im Buchladen über "Die vergessene Generation" gestolpert, weil ich auf der Suche nach einem Geschenk für meinen Vater war. Beim Aufschlagen des Buches fiel mir sofort auf, dass ich diejenige bin, die dieses Buch eigentlich lesen will, weil mir eine dort beschriebene Szene sehr bekannt vorkam. Das war überhaupt die wichtigste Erkenntnis aus diesen beiden Büchern, zu verstehen, dass manche merkwürdigen Verhaltensweisen der Eltern gar nicht so einzigartig und keine Einzelfälle sind, sondern ein Generationenphänomen. Das fand ich sehr befreiend und erleichternd. Und ich habe mehr Verständnis für meine Eltern entwickelt und festgestellt, dass ich nun etwas sanftmütiger mit ihnen umgehe. Gleichzeitig habe ich versucht, mehr aus ihnen herauszulocken aus dieser Zeit, weil ich es unheimlich wichtig finde, dass diese blinden Flecken in der eigenen Familiengeschichte noch so gut wie möglich thematisiert und verarbeitet werden.